Der deutsche Markt erlebt hier seinen schonungslosen Moment der Wahrheit
Dass die Corona-Krise besondere Entwicklungen mit sich bringt, ist in vielen Bereichen zu spüren. Die Auswirkungen der Ausbreitung des Virus sind in dieser Form noch nie dagewesen. Die deutsche CureVac könnte ein Weckruf für die Branche sein. Von Dr. Mathias Schott
Das zeigt sich zurzeit auch und gerade in der Life-Science-, speziell in der Pharma- und Biotech-Branche. Hier hat der Tübinger Impfstoff-Entwickler CureVac in der jüngsten Zeit für eine Menge Schlagzeilen gesorgt, was für einen Anbieter aus einer vermeintlichen Nische außergewöhnlich ist. Die ursprünglich kolportierte Nachricht, die US-Regierung habe den Verantwortlichen des Unternehmens ein Angebot gemacht, das vorsehe, dass die Errungenschaften von CureVac ausschließlich der amerikanischen Bevölkerung zugutekommen sollen, wurde zwar mittlerweile von den Tübingern selbst dementiert.
Was wirklich vorgefallen ist, lässt sich allerdings von außen nicht endgültig und vor allem seriös beurteilen. Doch ob Fake News oder nicht – das große Aufsehen, für das CureVac sorgt, macht letztendlich nur deutlich, dass Biotech aus Deutschland einen enorm guten Ruf genießt, vor allem auch im internationalen Ausland.
Umso unverständlicher ist es, dass erst eine Krise wie die Corona-Pandemie dafür sorgt, dass das Interesse an deutschen Biotech-Firmen im eigenen Land erwacht. Denn grundsätzlich ist dieses Interesse eher gering. Oder um es mit einem oftmals strapazierten Bild auszudrücken: Der Prophet gilt nichts im eigenen Land.
Einen deutlichen Indikator dafür stellen die Zahlen dar, die das FCF Life Sciences Team auf Basis des Datenanbieters PitchBook ausgewertet hat: Demnach weist Deutschland bei Venture-Capital-Investitionen im Life-Science-Segment einen äußerst schwachen Home Bias auf, was sich vor allem im Vergleich zu Großbritannien und Frankreich zeigt: Britische und französische Life-Science-Firmen haben 50 bis 60% des eingeworbenen Kapitals in den letzten fünf Jahren von Investoren aus dem eigenen Land erhalten, gleichzeitig wurden in diesem Zeitraum 66 beziehungsweise 84% des investierten Kapitals von britischen und französischen Investoren in heimische Firmen investiert.
Diese Daten verdeutlichen, wie sehr diese Aktivitäten den jeweils heimischen Markt stützen. In Deutschland hingegen haben deutsche Life-Science-Firmen nur 25% des eingeworbenen Kapitals der letzten fünf Jahre von deutschen Investoren bezogen; 54% des investierten Kapitals wurden in dieser Zeit von deutschen Investoren in Firmen aus dem Heimatland investiert.
Dieses Ungleichgewicht führt zu einer fast schon absurden Erkenntnis: Deutsche Investoren investieren mehr im Ausland als UK und Frankreich, gleichzeitig müssen deutsche Firmen mehr Geld im Ausland einsammeln, um überhaupt an Geld zu kommen.
Es ist zu hoffen, dass die jüngsten Entwicklungen um CureVac und die Verdoppelung des Börsenwerts des deutschen Onkologie-Spezialisten BioNTech mehr als deutliche Impulse für ein Umdenken aller beteiligten und interessierten Akteure in Deutschland geben. Ein Land, das früher die Apotheke der Welt war, kann nicht bei Pharmalieferungen von China abhängig sein und bei der Unterstützung von Entwicklungsprogrammen und entsprechenden Finanzierungen abgeschlagen hinter Ländern wie Großbritannien und Frankreich hinterherlaufen. Der deutsche Markt erlebt hier seinen schonungslosen Moment der Wahrheit, der Bequemlichkeit ebenso wie Versäumnisse und eine auf Selbstüberschätzung beruhende falsche Souveränität hinterfragt.
Es bedarf einer sofortigen Bereitstellung von Mitteln, nicht in homöopathischen Dosen, sondern deutlich erhöht um ein 10-faches mehr, um kontinuierlich und systematisch viele „CureVacs“ und „BioNTechs“ zu produzieren und somit zur Weltelite, sprich den USA, Großbritannien, Frankreich und China wieder aufzuschließen. Die Forschung und Ansätze für neue Medikamente sind aufgrund der hervorragenden Forschungsstruktur gegeben. Es gilt diese im Rahmen einer Strategie „Deutsche Pharma 2.0“ konsequent und systematisch zu fördern. Auch muss der Gesetzgeber durch Anpassungen deutsches Venture Capital deutlich attraktiver machen und den Zugang von professionellen Investoren für diese Anlageklasse erleichtern.
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