Wo bleibt Europa? GoingPublic Magazin: Plattform Life Sciences 11/17

Boomende Artificial-Intelligence-Investitionen im US-Life-Science-Bereich

Sei es in Form von Shopping-Vorschlägen bei Amazon oder der Erinnerung der Apple Watch, Sport zu machen, Artificial Intelligence (AI) ist bereits in einige ausgesuchte Lebensbereiche durchgedrungen. Auch wenn AI momentan noch keine breiten Anwendungen im Konsumenten- oder kommerziellen Bereich bietet, ist dies nur eine Frage der Zeit.

Von Dr. Mathias Schott und Sebastian Sommer

Die Zutaten für den breiten Durchbruch von AI sind bereits vorhanden. Immer leistungsstärkere Computer, raffiniertere Algorithmen und das, was die Welt tagtäglich am meisten produziert: Daten.  

Mehr Venture Capital für künstliche Intelligenz

Die Menge an Daten im Healthcare-Bereich wurde rückwirkend für das Jahr 2013 auf etwa 4 ZB geschätzt. Das entspricht etwa einer Datenspeicherkapazität von 4 Mrd. Festplatten mit einer gängigen Speicherkapazität von 1 TB. Sofern es gelingt, diese gesamten Daten in Zukunft für und durch AI-Anwendungen verfügbar und intelligent zu machen, wird deutlich, was für gigantische neue Analyse-, Interpretations- und Handlungsmöglichkeiten entstehen. Aus diesem Grund kann man verstehen, warum sich die Anzahl an und das Volumen von Venture-Capital-Investitionen im AI-Bereich in jüngster Zeit drastisch erhöht haben; das Gesamtvolumen hat sich zwischen 2012 und 2016 mehr als verzehnfacht.

Während die Investitionsaktivitäten 2012 und 2013 noch auf einem sehr bescheidenen Niveau von ca. 100 Mio. EUR lagen, stieg das Volumen 2016 bereits auf über 1 Mrd. EUR. Für das Jahr 2017 wird ein Volumen erwartet, das wiederum deutlich über dem Vorjahr liegt.

Nicht überraschenderweise flossen 78% aller Transaktionsvolumina in die USA; diese sind mit großem Abstand der Vorreiter in der Entwicklung, Vermarktung und Kommerzialisierung von Anwendungen künstlicher Intelligenz, nicht nur im Life-Science-Bereich. Der große Markt Europa konnte nur sehr bescheidene Transaktionsvolumina von 331 Mio. EUR im AI-Life-Science-Bereich verzeichnen, ähnlich wie der asiatisch-pazifische Raum (APAC) mit 367 Mio. EUR.

AI in Life Sciences als weitgrößter Wachstumsmarkt bei Investitionen im Sektorenvergleich

Betrachtet man den Gesamtmarkt aller AI-Transaktionen der letzten fünf Jahre, wird deutlich, dass AI bereits eine noch viel größere Bedeutung erreicht hat. Insbesondere im Bereich Informationstechnologie (IT) wurden in der gesamten Phase (2012–2017 YTD) bereits mehr als 14 Mrd. EUR investiert. An dritter und vierter Stelle, hinter den Life Sciences, liegen B2B- und B2C-Produktanwendungen mit Volumina unter 3 Mrd. EUR. Auch die jährlichen Wachstumsraten im IT-Bereich, wie aber auch Life Sciences auf kleinem Niveau, sind als „gigantisch“ zu bezeichnen.

AI-Anwendungen in den Life-Science Märkten sind gerade deshalb so vielversprechend, weil den Gesundheitssystemen in den meisten entwickelten Volkswirtschaften signifikant steigende Kosten durch alternde Bevölkerungsstrukturen bevorstehen. Parallel dazu stehen weniger Fachkräfte einer größeren Zahl an erkrankten, behandlungs- oder pflegebedürftigen Personen gegenüber. Die Notstände in den Gesundheitssystemen verschärfen sich.

Als Lösung hat AI das Potenzial, die Mediziner im Bereich der automatisierten, schnelleren Diagnose auch mit einer niedrigeren Fehleranfälligkeit zu unterstützen. Krankheiten können frühzeitiger erkannt, sogar antizipiert werden. Präventive Behandlungen können dann möglich auftretende Krankheiten von vornherein verhindern und somit einen wesentlichen Beitrag zur Verringerung der Probleme und Kosten in den Gesundheitssystemen leisten. Sofern die technologische Entwicklung im Bereich der mechanischen Robotik mit künstlicher Intelligenz kombiniert wird, kann auch die ressourcenintensive Behandlung auf allen Ebenen der Medizin – insbesondere einfache Aufgaben der Kranken- bzw. Altenpflege – entscheidend optimiert und so eine mögliche Überforderung der Gesundheitssysteme verhindert werden.

Betrachtet man den Life-Science-Markt für AI-Lösungen im Speziellen, erkennt man auch hier die großen Treiber, insbesondere die Diagnostik zur Krankheitserkennung und Enterprise-Systeme zur Verwaltung im Gesundheitswesen.  Aufgrund der sehr geringen Volumina in Europa schwanken die Investitionen in den einzelnen Jahren drastisch und zeigen noch keine breiten Trends bzw. keine Verfestigung der Sektor-Aktivitäten. Eine katastrophale Situation vor dem Hintergrund der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Amerika und der notwendigen Investitionen zur Effizienzsteigerung im Gesundheitssystem.

Um nicht in Europa auf den Markt zu warten und schlimmstenfalls den Anschluss an Amerika zu verlieren, könnten massive Anschubinterventionen der Wirtschafts-, Gesundheits- und Forschungspolitik notwendig sein. Ein Szenario, in dem amerikanische Konzerne die Hoheit über alle AI-Trends in den Gesundheitssektoren erlangen (ähnlich wie in den Internetsektoren die Firmen Google, Amazon und Facebook), wäre ein Horror-Szenario für Europa.

US-Investoren international dominierend – strategisches Interesse von Corporates

Für den Versuch, die Dynamik der zuvor beschriebenen AI-Investitionen im Bereich der Life Sciences zu verstehen, ist eine Analyse der Investorenaktivitäten hilfreich. Der langjährige Trend bei der Anzahl und dem
Volumen der Transaktionen zeigt wiederum eine sehr hohe anfängliche Aktivität der Angel-Investoren auf, die in den letzten fünf Jahren an insgesamt 492 Transaktionen (vornehmlich in frühen, riskanteren Phasen)
beteiligt waren (s. Abb. 7). Aufbauend auf dieser Welle von Initialinvestitionen, haben die institutionellen Venture-Capital-Investoren in weiteren 559 Folgetransaktionen investiert und stellen somit heute bereits die
treibende und stärkste Kraft der sich aufbauenden Investitionswelle dar.

Deutlich wird dies auch durch die bereits relativ hohe Anzahl (167) an Transaktionen unter Beteiligungen von Unternehmen als direkte Corporate-Investoren oder über ihre Corporate-Venture-Einheiten. Das große strategische Interesse der Corporate-Investoren wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass sie bereits heute die größten durchschnittlichen Transaktionsvolumina auf sich vereinen.

Wenig überraschend ist in diesem Zusammenhang auch, dass die führenden internationalen Investoren im AI-Bereich weitestgehend amerikanischer Abstammung sind. Einzelne US-Investoren wie der weltweit aktivste Life-Science-AI-Investor StartX haben sich bereits in frühen Finanzierungsrunden mit kleinen Investitionsbeiträgen von über 120 Mio. EUR an 21 Unternehmen beteiligt. Die bekanntere US-Beteiligungsgesellschaft Khosla Ventures ist mit 16 Transaktionen die zweitstärkste Kraft mit deutlich höheren Durchschnittsvolumina und einem Gesamtvolumen von 181 Mio. EUR.

Wie vorausschauend die USA das Thema Life-Science-AI vorantreiben, wird unter anderem auch sichtbar durch die aktive Beteiligung der öffentlichen Hand. Die US National Science Foundation, eine unabhängige USamerikanische Regierungsbehörde, ist als Co-Investor bereits bei 14 Transaktionen in Erscheinung getreten.

Bei Betrachtung der weltweiten Beteiligungsaktivitäten im Life-Science-Bereich wird abermals die erschreckende Dominanz der USA deutlich. Jeder der TopTen-Investoren weltweit hat mehr Transaktionen im Life-Science-AI-Bereich durchgeführt als irgendein Investor der europäischen Top Ten. Abgesehen von der großen Investition in BenevolentAI, die von den Investoren Lansdowne, Lundbeck, Nortrust, Upsher-Smith und Woodford durchgeführt wurde, haben die führenden europäischen Investoren nur minimale Volumen in wenigen Transaktionen investiert.

Artificial Intelligence im Bereich der Life Sciences ist wichtig und wird noch wichtiger werden, wenn die bekannten Probleme in den Gesundheitssystemen fortschrittlich gelöst werden sollen.

Es ist eine Hoffnung der Autoren, dass in der nahen Zukunft auch Life-Science-Firmen im AI-Bereich in Europa hervortreten und europäische Investoren aktiv Mittel in allen Phasen der Unternehmensentwicklung zur Verfügung stellen. Zudem muss der öffentliche Bereich die Notwendigkeit erkennen und die Marktentwicklung unterstützen und gegebenenfalls antreiben.

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